Praxisgestaltung Teil 3
Raumgemeinschaften haben eines gemeinsam: Sie bilden Prozesse ab. Die Anordnung der Räume in einer Praxis oder in einem Büro folgt den Abläufen, die sich durch ihre Zweckwidmung ergeben. Die Abfolge der gebauten Räume ist aber nicht die einzige Möglichkeit einer Betrachtung von Raumlandschaften. Der Artikel beschäftigt sich auch mit den erlebten Räumen und schließlich mit den Innenräumen der Menschen. Und mit Zwischenräumen, mit den Übergängen und Schwellen.
Unter Raum wird meist der gebaute Raum verstanden. Dieser kann aber von Menschen unterschiedlich wahrgenommen und erlebt werden. Entsprechend dem unterschiedlich gespürten Kontext des Sich-Befindens entstehen leiblich-erlebte Räume. Diese werden zu einer wesentlichen Bedingung für psychische und soziale Prozesse. Sie beeinflussen die Öffnung oder Schließung emotionaler oder seelischer Räume des Menschen. Und tragen damit wesentlich zu Wohlbefinden und Kooperation in einer Praxis bei.
Der Raum als Erfahrung
Wir reduzieren den Raum meist auf seine ?u?erlichkeit. Einen Raum zu empfinden, kann aber ganz anders sein, als seine ?u?erlichen Merkmale es vermuten lassen. Der Raum leiblicher Anwesenheit wird zum erlebten oder gelebten Raum. Archetypen grundlegender Raumerfahrungen werden ebenso beigetragen wie elementare Erfahrungen aus der eigenen Biografie. Enge und Weite beispielsweise sind grundlegende Raumerfahrungen aller Lebewesen, die sich in Ph?nomenen wie Anspannung und Entspannung oder auch beim Ein- und Ausatmen zeigen. Ebenso grundlegend ist das F?hlen von Richtungen, seien sie linear wie bei W?nschen oder Bef?rchtungen, als auch zentrisch, wie z.B. die zentrifugale Kraft einer unbestimmten Sehnsucht. Oder die sprichw?rtliche dicke Luft nach einem Streit.
Menschliche Innenräume
Doch was f?hrt zu Reaktionen, wie Anspannung und Entspannung? Rationale ?berlegungen als Folge der leiblich-erlebten Wahrnehmung von R?umen k?nnen es nicht sein, da die Reaktionen meist unbewusst erfolgen. Es sind die die Innenr?umen des Menschen, die den erlebten Au?enr?umen gegen?ber stehen und mit ihnen interagieren. Der Gef?hlsraum regt sich gleicherma?en wie der Verstandesraum des Menschen. In F?llen besonderer Tiefe sind es auch die seelischen und geistigen Innenr?ume des Menschen, die ber?hrt werden.
Der Mensch im Dazwischen
Das innere Befinden und die ?u?eren Begebenheiten stehen immer in einer Wechselbeziehung. Es ist nicht m?glich sofort zu wissen, woher ein Unwohlsein kommt, sondern wie wir damit umgehen. Der erste Schritt ist somit die Entscheidung, sich f?r einen Moment zur?ckziehen zu k?nnen, um innerlich still zu werden. Es gilt eine Unterbrechung des gegenw?rtigen Geschehens im Au?en zu bewirken, um wahrzunehmen, was gerade im Inneren geschieht. Zu beobachten, wie man sich f?hlt und was gerade im Au?en geschah. Dabei ist es entscheidend zu wissen, was wir f?r unser Wohlbefinden, f?r unsere innere und ?u?ere Balance brauchen.
Zwischenräume – oder Achten auf das, was nicht da ist
Doch da gibt es noch etwas: Neben dem Erleben der R?ume selber ist in einer prozessorientierten Betrachtung vor allem die zeitliche Abfolge des Erlebens bestimmend. Der Mensch durchl?uft innere Prozesse bei der Nutzung einer Abfolge von R?umen. Und erlebt dabei Zwischenr?ume am Weg von Raum zu Raum.
Zwischenr?ume sind auch R?ume! Als ?berg?nge liegen sie zwischen Objekten oder Ereignissen, denen unsere Hauptaufmerksamkeit gilt. Sie haben etwas Verbindendes oder Trennendes, aber keine eigene Botschaft. Sie dienen dazu, eben ?Wichtiges? besser unterscheidbar zu machen und als etwas Eigenst?ndiges zu erkennen. Meistens. Die Leere kann aber auch bewusst zur Botschaft werden. Der Zwischenraum wird vom Hintergrund zum Vordergrund. Und damit zum Gestaltungsmittel!
Schwellenräume – oder Übergänge in andere Räume
Zwischen den R?umen und den Zwischenr?umen finden wir Schwellenr?ume. Doch was ist eine Schwelle? ?berbr?ckung zweier R?ume, ein Da?zwischen, Trennung von Sph?ren, innen oder au?en, Auftakt und Ausklang, Grenze und Schranke, Anfang von etwas Neuem? Der Schwellenraum ist alles zusammen, meist sogar gleichzeitig.
Schwellen werden in ihrer Funktion als r?umliche Vermittler anschaulich: sie empfangen und entlassen ? Sie leben von der r?um?lichen Ambivalenz zwischen ?ffnung und Schlie?ung und erzeugen zugleich die Erwartung auf das Kommende. Schwellen geben uns die M?glichkeit des ?Sichbesinnen? und im r?umlichen Kontext des ?Sichfinden in seiner Umgebung?. Dies m?glich zu machen ist eine wesentliche Aufgabe bei der Praxisgestaltung.
Anordnung von Raumhüllen
Die Einsicht, dass der Arzt, Therapeut oder Berater den Patienten, Klienten oder Kunden in ?seinen? Raum aufnimmt, kann pr?gend f?r den Umgang sowohl mit Klienten als auch mit dem Raum selbst sein. Der Raum impliziert dabei nicht nur den statischen Aspekt von Ort, Platz, Stelle, sondern auch dynamische Aspekte von Gelegenheit, M?glichkeit, Entwicklung.
Die r?umlich-k?rperliche Erfahrung eines vorgelagerten Gartens f?r An?ziehung und ?bergang, des Eingangs und der Schwelle f?r Vorbereitung und Reinigung, der Warte?raum f?r Ankommen und Regulierung von N?he und Distanz, der Besprechungs- und Behandlungsraum f?r Aktion und Inter?aktion, ist ebenso wichtig wie ein gesch?tzter Raum der auf ihn wartet f?r den Aufbau von Beziehung und dem Sp?ren eigener seelischer Schritte.
In dieser Anordnung der ?Raumh?llen?, wobei im Zentrum ein warmer, inniger Kontakt, gut abgesichert durch zahlreiche ?Au?enh?llen?, m?glich ist, kann sich der ?gemeinsame Raum? der Beratung, Behandlung und Therapie entwickeln und sich die ?Innenr?ume? des Klienten ?ffnen und entfalten. Die Kooperation wird gef?rdert, Gespr?che k?nnen offener gef?hrt werden und Behandlungen erfolgreicher verlaufen.
Gestaltung von Raum zu Raum
Vorplatz und/oder Vorgarten bilden bereits den ersten Praxisraum und sind auch eine Visitenkarte der Praxis. Neben einer guten Orientierung f?r den Kunden/Klienten kann hier bereits eine Unterst?tzung des Ankommens geleistet werden. Eine besondere Funktion haben dabei die Schwellen?situationen an der Zaunt?r und folgend der Haust?r.
Ein Wartezimmer oder ein Wartebereich im Flur dient nicht nur dem Warten. Er gibt den Kunden / Klienten die M?glichkeit, zur Ruhe zu kommen. Sie sind oft unsicher, besorgt und f?hlen sich m?glicherweise allein?gelassen. Eine wohltuende, freundliche Gestaltung des Warte?zimmers wirkt diesen Gef?hlen entgegen.
Der Weg vom Wartebereich zum Sprechzimmer oder zum Behandlungs?raum kann diese wichtige Arbeit fortsetzen oder zunichte machen. Er wirkt als Schwelle von einer passiven in eine aktive Situation und braucht daher motivationsf?rdernde Wirkungen.
Das Erstgespr?ch findet dann meist im Behandlungsraum statt. F?r eine effektive Platzgestaltung empfiehlt sich aber ein eigener Raum, ein Sprech?zimmer, zumindest ein deutlich abgegrenzter Bereich. Ein Ortswechsel vom Ort des Erstgespr?chs zum Ort der Behandlung macht aus mehreren Gr?nden Sinn. Der Ort des Gespr?ches ist auch der erste Ort der Be?ziehungen in einer Praxis. Hier d?rfen sich bereits erste Innenr?ume ?ffnen.
Der Platz f?r Coaching, Mediation, Gespr?chstherapie, usw. folgt den gleichen Gestaltungs?grund?s?tzen. Die Anordnung der Sitzpositionen kann f?rderlich oder hinderlich sein. Die r?umliche Vermittlung von Kooperation, Austausch und Dialog oder Unterst?tzung wirkt f?r die anschlie?ende Behandlung f?rderlich. Die r?umliche Wirkung von Gleichg?ltigkeit, Separation oder gar Konfrontation belastet eine ?ffnung von Beziehungsr?umen.
F?r die Arbeit mit Kindern gilt, sich auf Augenh?he zu begeben, also nicht h?her zu sitzen als die Kinder und auf sie herabzublicken.
Der Weg vom Sprechzimmer zum Behandlungsraum schlie?lich bedarf immer wieder der Aufmunterung und Vertrauensbildung.
Die Gestaltung des Behandlungsraumes ist gleichzeitig auch eine Gestaltung von Rahmen?bedingungen f?r die ?ffnung weiterer Innenr?ume. Nur in einer verbundenen Situation kann wirklich gute Arbeit geleistet werden. Und eine seelische Ber?hrung ist ?branchenunabh?ngig?.
Dem B?roarbeitsplatz wird in Praxen oft zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei geschieht hier f?r die selbst?ndige T?tigkeit wichtige und wertvolle Arbeit. Der Arbeitsplatz soll daher st?rkend und kreativ wirken. Auf die Grunds?tze guter Arbeitsplatzgestaltung wird in einem eigenen Artikel n?her eingegangen.
R?ume zum Erholen und Regenerieren, vor allem f?r die Mitarbeiter, fehlen weitgehend in unseren Arbeitswelten. Sie sollten aber 20% der Fl?che f?r eine gute Erholung und Regeneration aus?machen. Das Essen ist nicht nur eine funktionelle, sondern vor allem auch eine sinnliche T?tigkeit. Und schlie?lich sind informelle Beziehungen und Kommunikation wichtig, auch wenn das oft anders gesehen wird.
BETRIEBSIMPULSE
Mag. Wolfgang Strasser
Unternehmensberater
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