Von der Bürolandschaft zur Lebensarbeitswelt
Unsere Arbeitswelten sind stark im Gespräch. Von New Work als echtem Trendkonzept und Paradigmenwechsel wird gesprochen. Es sind Entwicklungen, die den sich verändernden Arbeitsweisen folgen. Wenn sich Arbeiten 4.0 entwickelt, braucht es auch Arbeitsorte 4.0, so die logische Schlußfolgerung. In einigen Aspekten folgt diese Entwicklungen auch raumpsychologischen und -energetischen Erkenntnissen, auch wenn sie selten besprochen werden. Dies liegt wohl auch daran, dass neue Konzepte den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Den Weg von klassischen Bürolandschaften zu Lebensarbeitswelten möchte ich in diesem Blog etwas genauer ansehen.
Neue Technologien ermöglichen zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten sowie Vernetzung über den gesamten Globus. In manchen Unternehmen verschwinden sogar fix zugeteilte Arbeitsplätze und weichen dem Konzept des Desk Sharings. Je nach Verfügbarkeit können freie Plätze oder Büros ausgewählt werden.
Der New-Work-Ansatz schafft neue Freiheiten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und dies spiegelt sich in den räumlichen Strukturen. Wir sehen im Wesentlichen zwei Dynamiken: Zum einen werden klassische Büroräume mit festen Arbeitsplätzen reduziert, zum anderen werden neue räumliche Lösungen für neue Formen der Zusammenarbeit geschaffen. Da durch die Zunahme von Home-Office und Remote Work weniger fixe Arbeitsplätze benötigt werden, geht der Trend zu Open-Space-Büros, Desk Sharing und Coworking Spaces.
Wenn man durch die Büros der betrieblichen und öffentlichen Verwaltungsbauten geht, merkt man noch nicht sehr viel vom Aufbruch traditioneller Büroraumformen. Selbst neue Projekte zeigen eher traditionelle Konzepte, wenn auch in modernem Gewand und mit neuen Worten beschrieben. Dennoch sind Veränderungen spürbar, auch wenn sie erst langsam Fuß fassen.
Multispace als künftig generelle Form?
Nach der Idee des aktivitätsbasierten Arbeitens, bei dem die Mitarbeiter je nach Art ihrer Tätigkeit aus einer Vielzahl von Arbeitsumgebungen auswählen können, entwickeln sich Multi-Space Büros. Diese bieten spezifische Räume und den Wechsel dazwischen an. Die Tätigkeiten, nach denen Büroräume angeboten werden, können auf die Grundqualitäten Konzentration und Kontemplation, Kollaboration und Kommunikation zurückgeführt werden.
Konzentration
Diese Kategorie umschreibt Tätigkeiten, bei denen einzelne Mitarbeiter fokussiert arbeiten und visuell und akustisch geschützt sind. Der territoriale Arbeitsplatz scheint abgelöst zu werden vom non-territorialen Arbeitsplatz. Ich denke, das ist abhängig vom Berufsbild. Vor allem für nicht-projekthafte Tätigkeiten, wie Sachbearbeitung oder Buchhaltung, ist das klassische Einzelbüro immer noch das genau richtige.
Kontemplation
Unter Kontemplation versteht man die ruhige Einkehr, den Rückzug, das Luftholen und Ausruhen. Dabei helfen komfortable Möbel, warme Farben und Licht sowie eine geschützte und informelle Umgebung, die Mitarbeiter einzeln nutzen können. Hier tanken Mitarbeiter.innen Kraft, finden Energie und Fokus – z.B. vor oder nach Besprechungen. Es geht um mehr als klassische Pausenräume.
Kollaboration
Die Kategorie Zusammenarbeit fasst alle Tätigkeiten zusammen, bei denen Gruppen an einem gemeinsamen Endprodukt arbeiten. Damit Zusammenarbeit effizient und kreativ gestaltet werden kann, benötigen Teams Räume, in denen sie ihren Ideen freien Lauf lassen und sich ausdrücken können, z.B. an Flipcharts, (Smart-) Boards oder beschreibbaren Wänden. Diese Räume müssen inspirierend wirken, Verpflegung für längere Sessions sowie praktische Kollaboration- und Dokumentationsmöglichkeiten bieten. Sie müssen anpassbar sein, sodass unterschiedliche Teams den Raum nutzen können.
Kommunikation
Unter Kommunikation werden formelle und informelle Austauschaktivitäten, sowohl im 1:1 als auch in größeren Gruppen, zusammengefasst. Das heißt, Flurgespräche, gemeinsames Mittagessen, aber auch Meetings und vertrauliche Gespräche werden dieser Kategorie zugeordnet. Eine gute Kommunikationsatmosphäre zeichnet sich durch Komfort und Verpflegungsmöglichkeiten aus. Gerade informelle Kommunikation in Gruppen profitiert von großzügig geschnittenen Räumen und einer zwanglosen Umgebung, z.B. einem großen Pausenraum mit Küche und Tischkicker.
Multispace klingt ganz gut. Auffallend ist, dass zwar über die Funktionalität der Räume gesprochen wird, selten aber über deren Lage im Gebäude. Ich halte das Lagethema aber sehr wichtig, damit die Zweckbestimmung eines Raumes auch angenommen und genutzt wird. Und die Menschen in ihrer Arbeit in diesen Räumen auch bestmöglich unterstützt werden.
Ein Grundriss lässt Bereiche mit ganz bestimmten, archetypischen Qualitäten erkennen. Dies zeigen bauhistorische Untersuchungen der Entwicklung des Wohnens.1) Wenn betriebliche Funktionen auf diese archetypischen Zonen abgestimmt werden, wird deren Ausführung deutlich unterstützt. Und gleichzeitig das Befinden der Nutzer verbessert.
Archetypische Zonen in einem Gebäude sind: 1(S) Vision, Mission, Strategie; 2(NO) Betriebsklima, Innenbeziehungen; 3(W) Betrieb, Fertigung, Input, Sicherheit; 4(NW) Output, Ertrag, Kontrolle; 5(Mitte) Identität, Identifikation; 6(SO) Außenbeziehungen, Kommunikation, Austausch; 7(O) Kreativität, Projekte, Künftiges; 8(SW) Kompetenzen, Wissen, Revision; 9(N) Image, Bekanntheit, Marktstellung.
Daraus kann die Situierung von Betriebsfunktionen abgeleitet werden: (S) Eigentümer, Marketing; (SW) Revision, Controlling; (W) Produktion; (NW) Geschäftsführung, Recht, Finanzen; (N) Gründer, Marketing; (NO) Personalabteilung, Betriebsrat; (O) Forschung und Entwicklung; (SO) Verkauf.
Marktplatz in der Mitte des Geschehens
Der zentrale Marktplatz ist Ad-Hoc-Meetingzone und Pausenraum in einem. Ab einer gewissen Größe wird er zusätzlich zur Eventfläche und bietet Platz für ein Gastronomie-Konzept mit Serviceangebot. Je nach Bedarf sind ein Raum für Kinderbetreuung, Relax- und Sporträume, zentrale Technikräume u.ä. angeschlossen.
Das wichtige an diesem Konzept ist die Mitte selbst. In bisherigen Konzepten war die Mitte, falls es überhaupt eine gestaltete Mitte im Gebäude gab, dem Kunden vorbehalten. Diese darf auch so bleiben, aber durch eine gestaltete Mitte der Mitarbeiter ergänzt werden.
Beide Mitten repräsentieren die Identität des Unternehmens, eine in mentaler Form, die andere in emotionaler Form. Hier findet Identifikation sowohl der Kunden als auch der Mitarbeiter mit dem Unternehmen und seinen Produkten bzw. Dienstleistungen statt.
Statt Einzelbüro mehr Räume für Rückzug?
Eine These gibt es in den „Arbeitswelten 4.0“: non-territoriale Büroformen, wie das Desksharing, könnten sich durchsetzen, dafür wird es mehr Rückzugmöglichkeiten geben. Ich halte das für eine eher theoretische Ansage. Was bleibt, ist die tägliche Suche nach einem freien Arbeitsplatz. Und das riecht nach richtig Stress. Der emotionale Bezug zum Arbeitsplatz geht zwangsläufig verloren. Beides kann negative gesundheitliche Auswirkungen für die betroffenen Mitarbeiter haben.
Wer fühlt sich wohl, wenn er jeden Morgen die Reise nach Jerusalem antreten und einen freien Schreibtisch suchen muss? Zum Telefonat ein freies „Telefonhäuschen“ suchen, für ein Gespräch mit Kollegen in die „Bushaltestelle“ gehen, das hat überhaupt nichts mit Wohlfühlen, Sicherheit und Struktur zu tun. Da ändert auch die bunte Couch, das Bällebad und das Spielzimmer nichts.
Schreibtische näher zusammenzustellen fördert die Teamarbeit?
Nein, tut es nicht. Denn Schreibtische sind Werkzeuge für Einzelarbeit. Sie näher zusammenzurücken und Wände zwischen ihnen zu entfernen, begünstigt zwar Gespräche, ist der konzentrierten Arbeit aber abträglich. Und: Teamorientierte Kommunikation entsteht nicht durch Gruppen- oder Großraumbüros. Studien belegen, dass sie sogar genau das Gegenteil bewirken. Teamwork braucht andere Orte.
Teamwork entsteht durch clevere Abteilungsstrukturen?
Nein, tut es nicht. Denn Teamwork ist ein menschliches, kein organisatorisches Thema. Teamwork braucht viel Vertrauen. Dieses entsteht ausschließlich in kleinen Gruppen. Wenn man 30, 40 oder 100 Menschen in eine offene Zone setzt, sorgt der ständige Sichtkontakt für Unsicherheit und Misstrauen. Die Forschung hat belegt, dass wir in Familiengrößen jeden kennen und jedem vertrauen. Bei größeren Gruppen wird es schwierig.
Erinnern Sie sich an Ihre Schulzeit: Auch innerhalb der Klasse mit vielleicht 20 bis 30 Schülern gab es Cliquen, die sich intern das höchste Vertrauen schenkten und füreinander eingestanden sind. Die Klasse selbst war meist nur eine schwache Teamform, da es zu viele Einzelinteressen und Meinungen gab. Teamwork braucht kleine Einheiten mit entsprechend geschütztem Revier. Teamwork braucht familiäres Denken.
Wird das Büro ein zweites Zuhause?
Nein, eher nicht. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwanden bisher schon im Management. Bei Arbeit 4.0 wird das demokratisiert und alle kommen dran. Und prompt entwickelt sich eine neue Generation, bei der nicht die Arbeit, sondern die Freizeit Priorität hat.
Dennoch, Büros lassen sich so gestalten, dass sie wohnlicher aussehen und wir gerne dort sind. Auch und vor allem Gemeinschaftsbereiche, wie Terrasse, Kombizone oder Sitz-Lounge können eine lockere Atmosphäre erzeugen. Wo informeller Austausch nicht als Konspiration, sondern als sinnvoller Beitrag zum Betriebsgeschehen stattfinden kann.
Ist Home Office ist ein Ersatz für Büroarbeitsplätze?
Definitiv nein. Home Office ist eine Form der mobilen Arbeit, wie auch Verkaufsaußendienst oder Bauleitung. Aber kein Ersatz für die Arbeit im Unternehmen. Es ist eine Verlängerung des Arbeitsplatzes. Und bedarf durch die Nähe zum Privaten besonderer raumpsychologischer und -energetischer Aufmerksamkeit.
Ist eine Verbindung zur Natur unterstützend?
Eindeutiges ja. Fensterflächen, Terrassen oder Innenhöfe, die einen Außenbezug ermöglichen, wirken als Antenne zur Natur und haben einen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden. Aber wo gibt es in verbauten Zonen noch grüne Sichtverbindungen? Da dürfen wir uns nicht mehr auf die Umgebung verlassen, sondern eine naturnahe Außengestaltung von Betriebsgebäuden selber machen.
Auch die Verwendung natürlicher oder naturnaher Materialien trägt zum Wohlbefinden bei. Holz ist im Trend, aber auch Materialien wie Naturtextilien sind aus mehreren Gründen empfehlenswert. Tatsächlich sehe ich gerade bei Möbeln gegenteilige, weil preiswertere Alternativen. Auch Naturfarben und natürliche Farbtöne sind empfehlenswert, aber selten an der Wand.
Gibt es Corporate Interiors, eine Identität durch Innenarchitektur?
Ja, das ist möglich und sinnvoll. Bei der Gestaltung moderner Büros kann und soll auch darauf geachtet werden, dem Unternehmen im Sinne seiner Corporate Architecture ein individuelles Gesicht zu verleihen. Die Hauptakteure der Raumpsychologie und -energetik, Form, Farbe und Material sollten dabei aber gleichermaßen beachtet werden.
Authentizität steht dabei ganz vorne. Ein Mismatch in der Corporate Identity irritiert nicht nur Kunden. Auch bei Mitarbeitern kann die Identifizierung mit dem Unternehmen darunter leiden. Und beides ist langfristig sehr schädlich für das Unternehmen.
Ist der Raum ein wichtiger Hebel für Leistung und Unternehmenskultur?
Unbedingt. Das Fraunhofer Institut hat ein Thesenpapier zu „Arbeitswelten 4.0“ aufgestellt, dass die Entwicklung der Arbeitswelt bis zum Jahr 2030 skizziert. Darin wird dem Büro eine neue, soziale Funktion zugeschrieben.
Die Wechselwirkung zwischen Raum und Kultur ist mit besonderer Achtsamkeit zu begegnen, weil ich oft auch einen Mismatch zwischen Raum und Kultur vorfinde. Ich beschreibe das mit zwei Extremen, die beide nicht gesund für ein Unternehmen sind:
Moderner Raum – konservative Kultur:
Das Unternehmen investiert in neue Räumlichkeiten und stellt fest: Die Mitarbeiter.innen nehmen die Räume nicht an. Ganz im Gegenteil: Zynismus beherrscht die Flurgespräche, die teuren neuen Büros werden belächelt. Die Dinge gehen ihren alten Gang und die Mitarbeiter.innen erdulden die vielen Whiteboards und „Chillout-Areas“ – solange sie ihren Schreibtisch sicher haben. Insgeheim schielen sie sowieso auf die schönen Eckbüros der Führungskräfte.
Konservativer Raum – moderne Kultur:
Eine neue Organisationseinheit wird geschaffen – und ein Platz für sie gefunden, nämlich in den praktischen Büros aus den 80ern, die seit ein paar Monaten ungenutzt sind. Die agilen Neuankömmlinge sind entsetzt, versuchen aber sich die Räume zu eigen zu machen, Plakate aufzuhängen, Boards zu platzieren und Sitzsäcke zu verteilen. Doch nach ein paar Wochen erstickt der enge, graue Raum die neue Energie.
Die beiden Beispiele zeigen deutlich, dass Kultur- und Raumwandel Hand in Hand gehen müssen … einen Raum zu schaffen, der die Zielkultur fördert und eine Kultur zu schaffen, die den Raum „zum Leben erweckt“, also einen Match zwischen Raum und Zielkultur herzustellen.
Zu guter Letzt
Lassen Sie die Menschen aufeinander los. Im Besten Sinne. Der Mensch braucht soziale Reibung in einem kreativen Umfeld, um zwischendurch wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Hinweis
Lesen Sie dazu auch die Artikel „Green Office“ und „Energetic Office“.
1) Seidl, Helmuth und Gumplmaier, Helga: Wohn-Sein: Achtsam wohnen – zufrieden leben. Edition Va Bene 2014
BETRIEBSIMPULSE
Mag. Wolfgang Strasser
Unternehmensberater
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